Die Zementierung der Langsamkeit
Strukturwandel – ein Quantensprung für das Lausitzer Eisenbahnnetz?
200 km/h! Eine ICE-Trasse von Berlin via Cottbus nach Görlitz! Die Lausitz-Metropole angeschlossen an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz. Klingt nach einem Quantensprung in die Zukunft. Aufgeschrieben im Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen. Ursprünglich eines von zahlreichen Infrastrukturprojekten auf der Schiene. Stand heute vielleicht auch fast das einzige, was aus der ehrgeizigen Liste an Strukturwandelmaßnahmen im Schienenbereich bleiben könnte, neben den Elektrifizierungsplänen zwischen Cottbus und Forst sowie Spremberg – Hoyerswerda – Kamenz – Arnsdorf.
Eigentlich sollte mit dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen ein Quantensprung auf der Schiene in der gesamten Lausitz möglich werden. Wichtige Projekte sollen jedoch nicht mehr im Rahmen der Strukturförderung im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg realisiert werden. Zu den Streichprojekten gehören:
Cottbus – Doberlug-Kirchhain – Falkenberg/Elster – Eilenburg – Leipzig (Ausbau für 160 km/h, ESTW/DSTW, 2-gleisige Einbindung in den Knoten Leipzig) – jetzt ist nur von einem Teilausbau zwischen Cottbus und der brandenburgisch-sächsischen Landesgrenze die Rede Cottbus – Senftenberg – Ruhland – Priestewitz – Dresden (Ausbau für 160 km/h, 2-gleisigerBegegnungsabschnitt zwischen Ruhland und Priestewitz, Blockverdichtung, 740-m-Gleise für den Güterverkehr in Senftenberg) Dresden – Bischofswerda – Bautzen – Löbau – Görlitz – Grenze Deutschland/Polen (Ausbau für 160 km/h, Elektrifizierung) – Freistaat Sachsen und der Bund haben hier im September 2021 gerade mal Vereinbarung getroffen zur Elektrifizierung Dresden – Bischofswerda und Görlitz – Grenze Deutschland/Polen.
Bleibt es bei der Nichtrealisierung der o.g. Projekte werden große Teile der Lausitz vom Schwung des Strukturwandels nicht profitieren. Zumindest nicht beim wichtigen Thema Infrastrukturausbau.
Die Region Senftenberg: Strukturwandelmotor und Langsamfahrstelle
Ein Beispiel dafür ist der Raum Senftenberg, die Region mit knapp 70 Tausend Einwohnern, in der der Lausitzer Bergbau vor rund 140 Jahren seinen Anfang nahm. Die Region, die in den 1990er Jahren beim ersten Bergwerkssterben in der Lausitz am stärksten betroffen war und den Strukturwandel auch ohne einen derart gut gefüllten Fördertopf wie er heute mit dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen zur Verfügung steht zu meistern versuchte. Was nicht heißt, das hier nicht auch Fördermittel flossen, aber in einer anderen Dimension und Ausrichtung. Das Erreichte kann sich sehen lassen. Die Region setzt heute auf einen Mix der Themen Industrie, Forschung und Bildung sowie Tourismus. Die BASF ist ein industrieller Leuchtturm. Senftenberg ist ein Standort der Brandenburgisch-Technischen Universität, Großräschen und Schwarzheide wichtige Ausbildungsstandorte. Das künstlich angelegte Lausitzer Seenland, entstanden aus ehemaligen Kohlegruben, ist weit über die Grenzen der Lausitz bekannt.
Was nicht mithält, ist die Schieneninfrastruktur. Rings um Senftenberg droht ein Eisenbahnnetz mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h als eine Insel der Langsamkeit zu bleiben. Weder in Richtung Berlin, noch Dresden, noch Leipzig ist die Bahn mit dem Pkw konkurrenzfähig. Gerade mal zwischen Senftenberg und Cottbus sind die Fahrzeiten Bahn – Auto annähernd gleich. Nimmt man jedoch die Reisezeit nicht Bahnhof zu Bahnhof, sondern praktischerweise Haus zu Haus, verliert der öffentliche Verkehr auch hier.
Änderung ist nicht in Sicht. Der Fahrgastverband PRO BAHN Landesverband Berlin-Brandenburg e.V. hatte dem Land Brandenburg Anfang 2020 vorgeschlagen, den Abschnitt Neupetershain – Senftenberg – Ruhland – Priestewitz zunächst wenigstens für 120 km/h auszubauen. Das würde Fahrzeitverkürzungen von rund 15 Minuten ermöglichen. Bisher leider ohne Antwort. Auf den Vorschlag des Südbrandenburger Landtagsabgeordneten Wolfgang Roick (SPD), ob eine Erhöhung der Geschwindigkeit der Bahnlinien Lübbenau – Calau – Senftenberg auf 120 km/h antwortete das zuständige Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung abschlägig. Ende 2022 soll aus der heutigen Regionalbahn von Senftenberg nach Berlin zwar ein Regionalexpress werden. der hält aber an denselben Bahnhöfen wie die heutige Regionalbahn, fährt bis Lübbenau weiterhin auf einer teils 1-gleisigen Strecke mit wenigen Kreuzungsmöglichkeiten mit max. 100 km/h. Eher ein Etikettenschwindel, als eine Zukunftsoption.
Mitte 2021 kam dann die Nachricht, der Ausbau Cottbus – Senftenberg – Dresden soll von der Maßnahmeliste des Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen gestrichen werden. Stattdessen will man sich ausschließlich auf die Stärkung der Achse Cottbus – Spremberg – Hoyerswerda – Kamenz – Dresden konzentrieren. Mit dieser dürfte allerdings das Ziel einer schnelleren Verbindung zwischen Cottbus und Dresden weit verfehlt werden. Im besten Fall ließen sich mit hohem Aufwand die Fahrzeiten erreichen, die heute schon via Senftenberg und Ruhland gefahren werden, auf der langsamen Strecke.
Es ist dringend an der Zeit, dass sich das Land Brandenburg aufmacht, einen Mindeststandard für sein Eisenbahnnetz zu definieren, welches den Schienenpersonenverkehr endlich konkurrenzfähig mit dem Pkw macht und diese in Bundesprogrammen wie der Finanzierung des Strukturwandels fest verankert und umgesetzt werden. Sonst werden ehrgeizige Klimaschutzziele Deutschlands wie die Verdoppelung der Fahrgastzahlen zumindest in der Lausitz kläglich scheitern. Kurzfristig gehört dazu die Ertüchtigung der Strecken Cottbus – Senftenberg – Priestewitz und Senftenberg – Lübbenau für 120 km/h, mittelfristig bis Anfang der 2030er Jahre für 160 km/h.
Finanzmittel für die gesamte Lausitz einsetzen
Genau genommen ist auch nicht fest geschrieben, dass die Strecke Berlin – Cottbus – Görlitz für 200 km/h ausgebaut wird. 160 km/h oder 200 km/h heißt es. der Abschnitt Königs Wusterhausen – Cottbus ist für 160 km/h bereits hergerichtet, ab 2027 hoffentlich auch endlich durchgehend 2-gleisig. Eine Konzentration auf den noch fehlenden Ausbau zwischen Berlin Grünau und Königs Wusterhausen, den Umbau des Bahnhofes Königs Wusterhausen sowie Elektrifizierung und Ausbau der Strecke Cottbus – Görlitz für 160 km/h sind Ziele, die der Bedeutung der Strecke bereits gerecht werden, selbst wenn man sie im europäischen Maßstab bis Polen weiterdenkt.
Heute sind für den ICE-tauglichen Ausbau 1,6 Milliarden Euro veranschlagt. Ob jemals ein ICE von Berlin nach Görlitz fahren wird, steht indes in den Sternen. Und selbst wenn es gelingt 1-2 ICE-Fahrten täglich über Berlin hinaus in die Lausitz fahren zu lassen, kann er dies auch mit 160 km/h.
Im Deutschland-Takt-Konzept ist ohnehin lediglich eine IC-Linie Stettin – Berlin – Cottbus geplant, mit Zügen, die maximal 160 km/h fahren werden. Eine Verlängerung dieser Linie, zum Beispiel über Weißwasser, Węgliniec, Chojnów, Legnica bis nach Wrocław ist gut vorstellbar. Schließlich ist diese Trasse zwischen Horka und Wrocław bereits heute mit 160 km/h befahrbar und das polnische Bahnstromsystem mit 3 kV Gleichstrom können die Züge auf beiden polnischen Abschnitten gleichermaßen nutzen.
Ein Ausbau Berlin – Cottbus – Görlitz für maximal 160 km/h ließe wahrscheinlich wieder Mittel frei werden für andere Projekte wie den Ausbau zwischen Cottbus und Dresden, der eigentlich nur bis Priestewitz erforderlich ist. Zwischen Priestewitz und Coswig wird bereits 130 km/h schnell gefahren, zwischen Coswig und Dresden 160 km/h schnell.
Angegangen muss die Thematik allerdings jetzt. Sonst ist die noch vorhandene Chance ganz schnell eine verpasste Chance. Für die Ursprungsregion des Lausitzer Bergbaus. Für die Region, die den Strukturwandel seit 30 Jahren meistert.