© George Lund
Pressemitteilung des PRO BAHN Landesverbandes Berlin-Brandenburg e.V.
17.01.2022

Stellungnahme von PRO BAHN zu Streckenreaktivierungen in Brandenburg

Gutachten Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) und die PTV Transport Consult GmbH (PTV) „Potenzialuntersuchung zur Reaktivierung von Strecken und Halten“

Stellungnahme Fahrgastverband PRO BAHN – Landesverband Berlin-Brandenburg e.V.

Das Land Brandenburg hat durch den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) und dessen Auftragnehmer PTV Transport Consult GmbH (PTV) eine Potenzialuntersuchung zur Reaktivierung von Strecken und Halten erstellen lassen.

Der Fahrgastverband PRO BAHN – Landesverband Berlin-Brandenburg e.V. begrüßt die Tatsache, daß das Land Brandenburg sowie der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg sich mit dem Thema Reaktivierung von Strecken und Halten befassen. Aufgabenstellungen der Gegenwart und Zukunft wie die Verkehrswende und der Klimawandel lassen sich auch im Land Brandenburg nicht ohne eine Weiterentwicklung des Schienenpersonennahverkehrs und des dazugehörigen Netzes und seiner Zugangsstellen lösen.

Das Gutachten von VBB und PTV lässt sowohl in der Auswahl der betrachteten Reaktivierungskandidaten als auch an der gutachterlichen Herangehensweise nicht unbedingt den Schluss zu, dass das Thema im Land Brandenburg auch tatsächlich ernst genommen wird.

Hier scheint eine Auswahl von reaktivierungsfähigen Bahnstrecken und Zugangsstellen getroffen worden zu sein, mit dem Ziel, möglichst wenig bis nichts umsetzen zu müssen.

Aus einer unvollständigen Gesamtauswahl von 35 Bahnstrecken sollen letztendlich nur die Strecken

  • Rathenow – Rathenow Nord
  • Fredersdorf – Rüdersdorf
  • Hoppegarten – Altlandsberg
  • Falkenberg – Herzberg-Stadt

in der Kategorie A (Potential lässt eine Bestellung im Taktverkehr erwarten) sowie

  • Werneuchen – Wriezen
  • Luckau-Uckro – Lübben
  • Müncheberg – Müncheberg-Stadt
  • Wustermark – Ketzin

in der Kategorie B (Potenziale für eine Bestellung im Taktverkehr derzeit nicht eindeutig zu erkennen) untersucht werden. Hinzu kommen vier von 35 Halten:

  • Heidefeld (SPNV-Strecke Brandenburg Hbf – Rathenow)
  • Kiekebusch (SPNV-Strecke Cottbus Hbf – Görlitz)
  • Bornim-Grube (SPNV-Strecke Berliner Außenring)
  • Haida (Oberlausitz) (SPNV-Strecke Falkenberg (Elster) – Ruhland)

Als Fahrgastverband halten wir mehrere Bahnstrecken und ehemalige Haltepunkte für untersuchungswürdig hinsichtlich einer Reaktivierung für den SPNV.

Dazu gehört auch ein Teil der Gutachten untersuchten Strecken und Halte. Auch einige zusätzliche Zugangsstellen können wir uns vorstellen.

Nicht von uns nachvollzogen kann die Auswahl der 35 Strecken, bei denen mehrere Strecken mit einem erkennbar hohen Reaktivierungspotential komplett fehlen, unter anderem:

  • Finsterwalde – Großräschen (Verlängerung RE8b über Finsterwalde hinaus bis Senftenberg bzw. Ruhland)
  • Senftenberg – Hosena (Verlängerung S8 Dresden – Kamenz bis Senftenberg)
  • Spremberg – Hoyerswerda

Warum anderen Strecken wie Templin – Prenzlau nicht ebenfalls bewertet wurden, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar.

Bei der Lektüre des Gutachtens verwundert uns schon, wie es der winzige Abschnitt Rathenow-Rathenow-Nord auf Platz 1 der Bewertung schaffen konnte, während keine der vier vorgenannten Strecken untersucht wurde.

Auch die schlechte Bewertung der Strecke Falkenberg – Riesa ist nicht schlüssig und wahrscheinlich einer ausschließlich lokalen Betrachtung geschuldet. Bei einer Berücksichtigung der Strecke Falkenberg – Riesa im Kontext der Verkehrsachse Berlin – Jüterbog – Riesa – Chemnitz für den schnellen Regionalverkehr dürfte das Ergebnis komplett anders ausfallen.

Wir gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass die wichtigste zu reaktivierende Bahnstrecke in Brandenburg, die Stammbahn zwischen Potsdam und Berlin, nur deshalb im Gutachten nicht betrachtet wurde, weil sie bereits Bestandteil des Projekts i2030 ist. Dennoch sollte man diese Gelegenheit nutzen, um eine dringende Systementscheidung zugunsten der Regionalbahn-Variante anzumahnen und den Start der erforderlichen Planungsarbeiten für den Wiederaufbau der Stammbahn zu fordern.

Analog unserer Kritik zu den Bahnstrecken fällt auch unsere Einschätzung zu den betrachteten Zugangsstellen aus.

Uns erschließt sich, um ein konkretes Beispiel zu benennen, im Gutachten unter anderem nicht, wie einerseits der neu zu schaffende Haltepunkt Hänchen bei Cottbus (Bahnstrecke Cottbus – Ruhland) mit einem ermittelten Einzugsbereich von 7.526 Einwohnern (Hänchen, Klein und Groß Gaglow, Kolkwitz und wahrscheinlich Randgebiete von Cottbus) in der Auswahl durch das Raster fallen konnte, während der Halt Haida im Vergleich sehr hoch bewertet wurde.

Für Haida wurden 3.729 Einwohner in einem 10-min-Einzugsbereich ermittelt. Da der Ort Haida direkt an das Stadtgebiet von Elsterwerda anschließt, ist zu vermuten, dass hier Einwohner aus Elsterwerda bzw. Elsterwerda-Biehla eingerechnet wurden, den Haida selbst hat nur 574 Einwohner und selbst mit den Nachbarorten werden nur ca. 2.000 Einwohner erreicht. Nachbarort Zeischa schnitt bei reell ähnlichen Einwohnerzahlen im Einzugsgebiet aus der Bewertung aus. Es ist nicht zu erwarten, dass Einwohner der Stadt Elsterwerda statt die beiden zentral gelegenen Bahnhöfe im Stadtgebiet zu nutzen nach Haida pendeln, wohl aber ist es wahrscheinlich, dass die Einwohner aus den Nachbarorten von Hänchen und aus den südlichen Cottbuser Randgebieten nach Hänchen pendeln, um den SPNV nach Senftenberg, Ruhland und Dresden zu nutzen. Ebenso ist zu erwarten, dass die Einwohner in den Nachbarorten in ähnlicher Frequenz zu einem Haltepunkt Zeischa pendeln würden, wie die zu einem Haltepunkt Haida.

Hier scheint vor allem Ortsunkenntnis der Gutachter zu einem unschlüssigen Ergebnis zu führen. Wir halten, um im Beispiel zu bleiben, alle drei vorgenannten Zugangsstellen für reaktivierungswürdig.

Nicht nachvollziehen können wir zudem nicht, warum weitere ehemalige Halte wie Lauchhammer Süd oder mögliche neue Zugangsstellen wie Senftenberg BTU nicht Bestandteil der Untersuchung waren.

Im Ergebnis unserer Auswertung des Gutachtens von VBB und PTV kommen wir zum Schluss, dass dringend nachgearbeitet werden muss, wenn die eingangs genannten Aufgabenstellungen ernst genommen werden sollen.

Anderenfalls sieht es für uns sehr nach einer Alibiveranstaltung aus, um das aktuell deutschlandweit besprochene Thema Streckenreaktivierungen auch bespielt zu haben.

Grundlage für ein umfassendes Gutachten muss ebenso eine vollständige Liste der im SPNV theoretisch bedienbaren Bahnstrecken sein, wie eine nach verkehrsplanerischen Grundsätzen aufgestellte Karte fehlender Zugangsstellen unter Berücksichtigung von vorhandenen und geplanten Siedlungs- und Wirtschaftsstandorten.

Diese Daten müssen an der Raumplanung des Landes und insbesondere in Randregionen auch an der Raumplanung von Nachbarländern gespiegelt werden.

Letztendlich gehört auch ein Betrachtung des ÖPNV-Angebotes und paralleler SPNV-Angebote zu einem Gutachten.

Wir fordern daher das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung auf, das Gutachten auf der Basis landes- und regionalplanerischer Grundsätze vollständig überarbeiten zu lassen.

In der vorliegenden Form taugt es nicht als Beitrag zur angestrebten Verdoppelung der Fahrgastzahlen.

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