© Jens Endler

Reiseberichte

Als ersten Teil unserer Webseiten-Reiseberichte veröffentlichen wir hier den Reisebericht Mit dem Zug nach Kyiv, inmitten des Kriegs unseres Vorstandsmitglieds Susanne Nies.

Wer heute in die Ukraine reisen will – ob als amerikanischer Staatspräsident, als Bundeskanzler, als Flüchtling, der seinen Kindern den Besuch bei der Familie ermöglichen will, oder das Land verlassen: es gibt nur zwei Möglichkeiten: die Bahn, oder die Straße. Flugverkehr ist seit dem russischen Angriffskrieg, der am 24.Februar 2022 begann, nicht mehr möglich.  Eine einzigartige Chance, sollte man denken, um die Bedeutung der Bahn, und ihre Zukunft im europäischen Grenzverkehr doppelt zu unterstreichen. Was ohne Bahn? Warum nicht darauf dringen, dass Ostbahn, dass schnellere Züge, dass klimafreundlicher Verkehr zwischen und in den Ländern endlich jetzt Realität wird? Die Bahn in diesen Regionen ist im 19. Jahrhundert entstanden: Russisches Reich oder Habsburger Reich, und war ein ganz wichtiger Fortschrittsfaktor. Die großen historischen Veränderungen und schreckliche Kriege, die Grenze des Kalten Krieges haben Infrastruktur zerstückelt, verödet, in Sackgassen geführt, Demontagen zur Folge gehabt, aus wichtigen Orten Nebenschauplätze gemacht.  Erneut verändert sich die Lage und ist es wichtig, die große symbolische Bedeutung der Zugverbindung zu unterstreichen und Taten folgen zu lassen. Schnelle Züge für Europa – jetzt!

24 Stunden benötigt man, um von Berlin Hauptbahnhof mit der Bahn bis in die Ukrainische Hauptstadt zu fahren: in der ersten Juli Woche machte ich mich dorthin auf, um für meine Arbeit beim Helmholtz-Zentrum Berlin Regierungs- und Partner-Gespräche zu führen.

Für die Freundinnen und Freunde von PRO BAHN möchte ich hier meine eisenbahnerischen Eindrücke teilen, und erneut darauf verweisen, wie unabdingbar und wichtig die Modernisierung, der Auf- und Ausbau der klimafreundlichen Schienenverbindungen von Deutschland nach Osteuropa ist.

Wie buche ich ein Ticket?

Die erste Schwierigkeit besteht darin, in Zeiten des nur noch auf Schiene oder Straße möglichen Verkehrs eine Verbindung nach Kyiv zu finden, die einen nicht mehrere Lebenstage kostet, und die überhaupt buchbar ist.

Wenn man in Deutschland auf die Deutsche Bahn Website geht und buchen möchte, dann findet man alle Verbindungen. Nur buchen kann man nicht: denn de facto sind die Tickets immer nur genau drei Wochen vor Reiseantritt für ein paar Minuten ab 8.00 verfügbar, und dann ausgebucht. Was also tun?

Meine kleine Delegation und ich haben schließlich die Tickets über ein ukrainisches Partner-Unternehmen gefunden, das uns die polnische und ukrainische Bahn buchen konnte.

Es gibt auch Abenteurer wie ´Der Mann auf Platz 61´ (The Man in Seat 61 | The train travel guide),  ein überzeugter Zugfreund aus England, die gute und kundenfreundliche Verbindungen in die Ukraine – aber sonst auch weltweit – parat haben.

Wer fährt denn überhaupt dorthin?

Wer am Berliner Hauptbahnhof auf den Zug nach Przemysl wartet und sich nach Mitreisenden umschaut, dem fallen die vielen jungen Frauen und Kinder auf, die ganz offensichtlich Richtung Ukraine fahren möchten. Auch auf der Rückfahrt sieht es recht ähnlich aus: Junge Frauen, kleine Kinder, oft auch ältere Frauen, die in beide Richtungen fahren, Verwandte oder ihr Haus oder Wohnung oder ihr Heimatland wenigstens ein paar Tage wiedersehen wollen. Die Szenen an den Bahnhöfen berühren sehr: es steckt so viel Erfahrung, Flucht und Not in diesen Bildern der jungen Frauen mit Kindern, den faltigen und etwas traurigen Gesichtern der schweigenden Großeltern. Umso beeindruckter ist es zu sehen, wie fröhlich und optimistisch diese jungen Frauen sind, wie sie Kindern und Eltern Ruhe und Sicherheit geben in einer für sie so unsicheren Welt voller Improvisation. Männer dürfen aktuell nicht ins Ausland reisen: manche, die ich auf dem Hin- oder Rückweg im Zug kennenlernte brachten ihre Familie bis an die Grenze nach Przemysl oder Lviv, aber weiter ging es nicht.

Umschlagplatz an der polnischen Ostgrenze, und die Spurbreite

Aus Deutschland Richtung Ukraine können heute vor allem zwei Zugstrecken genutzt (auch wenn es ein einige mehr gibt): eine führt über Lublin, Chelm, und eine andere über Krakow-Rszeszow-Przemysl-Lviv nach Kyiv (Liste der polnischen Eisenbahngrenzübergänge – Wikipedia).

Wir nahmen die Strecke Berlin-Przemysl, und dann ab Przemysl mit der ukrainischen Staatsbahn nach Kyiv.

Wie bekannt gibt es unterschiedliche Spurbreiten: in der früheren Sowjetunion gilt 1520 mm, und in der EU und ansonsten weltweit, auch in China, „Normalspur“ 1435 mm.  Die sogenannte Breitspur war auch schon im Russischen Kaiserreich verbreitet, und darüber hinaus in anderen Ländern der Welt, wie USA, Türkei etc. (Russische Breitspur – Wikipedia)

Die Grenzbahnhöfe weisen beide Spurbreiten auf: das gilt auch für Przemysl: dort gibt es ein mit hohen Zäunen abgetrenntes Gleis, das man durch eine Grenzkontrolle Polens erreicht. Ich sah auch parallele Gleise mit beiden Spurbreiten, oder Gleise, in die die kleinere Spurbreite eingearbeitet war. Zudem gibt es in Medyka eine sogenannte Umspurungsanlage für die 1859 gebaute Verbindung nach Lemberg/heute Lviv. (Bahnstrecke Lwiw–Przemyśl – Wikipedia)

Wie geht es mit der Spurbreite weiter?  Bereits 2020 hat die Ukraine erklärt, daß sie die „europäische Spurbreite“ einführen möchte. Das Land hat die viertgrößte Schieneninfrastruktur in Europa- wenn man Russland nicht einrechnet: Jedoch nur 200km von den 23.000 km insgesamt sind dabei heute auf europäischem Standard (Ende der Breitspurbahn in der Ukraine? Ein geopolitischer Wendepunkt | trans.info). Sicherlich ist hier noch viel Detailplanung notwendig und gibt es Ansätze für eine Lösung durch moderne Umspuranlagen, wie etwa zwischen Frankreich und Spanien im Betrieb?

© KATAPULT-Magazin, Creative Commons: CC-BY-NC-ND

Und welche Pläne gibt es, Strecken zu modernisieren, und besser mit der EU zu integrieren?

Die Ukraine soll in Transportkorridore integriert werden, und auch Unterstützung durch die sogenannte Transeuropean Networks Transport (TEN-T) erhalten. Dabei geht es zum Beispiel um den Korridor vom Norden/Baltikum über Lviv nach Kyiv und Mariupol, oder durch Lviv  und Chernovitz nach Odessa (The EU includes Ukrainian logistics routes in the Trans-European transport network – UkraineInvest). Hier geht es allerdings hauptsächlich um Frachtkorridore und weniger um Personenverkehr.

Der Bahnhof Przemysl selbst datiert aus der Habsburger Zeit und wurde eilig mit Überdachungen an allen Bahnsteigen ausgestattet, um den vielen Flüchtlingen seit dem 24. Februar wenigstens etwas Obdach zu bieten. Verschiedene NGOs sind am Bahnhof tätig, bieten Hilfe und warme Getränke an. Die Stadt wirkt verschlafen und aufgestört zugleich, in Anbetracht so vieler Durchreisender.

Nur ca. 60 km von hier entfernt liegt Rszeszow: eine Stadt, die wohl als die sicherste in Europa gelten kann, da sie mit vielen Flugabwehrsystemen ausgestattet ist, einen Flughafen hat, und sämtliche Militärhilfe empfängt und weitertransportiert. US Präsident Biden ist hier in den Zug gestiegen, um Kyiv zu besuchen, und Gleiches gilt auch für alle anderen Staats- und Regierungsoberhäupter, und die wenigen anderen Besucherinnen und Besucher des Landes im Krieg.

Von Przemysl nach Kyiv und von Kyiv nach Przemysl

In die ukrainische Staatsbahn und IC eingestiegen ist man positiv überrascht von der Großzügigkeit und Moderne der Waggons: viel Platz trotz vieler Passagiere; anders als in der polnischen Staatsbahn allerdings nur begrenzte Möglichkeit, sich Getränke oder Speisen zu besorgen.

Auf Bildschirmen läuft Werbung für Prothesen für Versehrte, für den Beitritt zum Militär, für Folklore Kleidung oder Zeichentrick-Filme für Kinder.

Während der langen Fahrt durch die ukrainischen Ebenen, viele Haltstellen, wo auch Reisende des Binnenverkehrs ein- und aussteigen, Militärs, sehen wir viele Baustellen und Menschen, die sich an den Gleisreparaturen zu schaffen machen. Das wirkt sehr handgestrickt, und von modernen Geräten für diese Arbeit an oftmals ziemlich zugewachsenen Gleisstrecken keine Spur. Ein paar Eindrücke vermitteln die folgenden Bilder.

Sehr beeindruckend ist, dass der Zug Kyiv ganz pünktlich erreicht: davon kann die Deutsche Bahn nur träumen. Gleiches gilt für die Rückfahrt.

Auf dem Rückweg einige Tage später diskutierte ich mit einem Kollegen, ob auch die Züge von Marschflugkörpern angegriffen werden könnten. Vermutlich ist es nicht möglich, da sie sich ja bewegen, und die Geschosse im Vornehinein programmiert werden. Das gilt natürlich nicht für einen Zug, der im Bahnhof steht: zeitgleich mit dem größten russischen Angriff auf Lviv – das nur 60 km von der polnischen Grenze entfernt ist, standen wir im Bahnhof. Es ist nichts passiert, und wir sind heil zurück.

Abschließend sei gesagt, dass so eine Zugreise in ein Land im Krieg für meine Generation ganz ungewöhnlich ist: Krieg hat es in meinem Leben nie gegeben, und ich schätze mich glücklich dafür. In den Tagen der Ukraine lerne ich, dass ein scheinbar normales Leben mit dem immer wieder durchschimmernden, manchmal brutal zuschlagenden Krieg einhergehen kann. Davon allein zeigen die Raketeneinschläge in der Hauptstadt, die noch immer zu sehen sind, oder die Hinweise auf Bunker, die man überall sieht.  Nicht zuletzt die Militärs vor den Regierungsgebäuden, die Sandsäcke innerhalb.

Man hat die Ukraine Warnapp immer an, und es gibt auch hier Sirenen, wenn es Angriffe gibt. Derzeit gibt es diese landesweit alle zwei Tage im Durchschnitt.

Eingang zum Bunker:
Man bereitet sich auf den kommenden Winter vor- wird die Infrastruktur erneut angegriffen? Man erwartet nichts anderes. 1,2 Millionen Elektrostromgeneratoren gibt es überall- basierend auf Diesel.  Und viele andere Lösungen und neue Möglichkeiten zieht man in Betracht, gemeinsam mit den Nachbarländern arbeitet man daran.

Einer von 1,2 Mio. Stromgeneratoren:
Man bereitet sich auf den kommenden Winter vor- wird die Infrastruktur erneut angegriffen? Man erwartet nichts anderes. 1,2 Millionen Elektrostromgeneratoren gibt es überall- basierend auf Diesel.  Und viele andere Lösungen und neue Möglichkeiten zieht man in Betracht, gemeinsam mit den Nachbarländern arbeitet man daran.

© Text / Bilder (sofern nicht anders angegeben): Susanne Nies, PRO BAHN Berlin-Brandenburg

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